Meine zweite Haut
Kleidung der verstorbenen Menschen
Vor einigen Jahren ist mein Vater gestorben und ich erbte seine blaue Strickjacke. Sie roch noch nach ihm und irgendwie hatte ich das Gefühl, wenn ich sie getragen habe, dass ich meinem Vater ganz nahe war.
Als vor drei Jahren ein sehr guter Freund von mir starb – ich fand ihn tot in seiner Wohnung – lag auf seinem Bett ein blaues Fußball-T-Shirt, ganz ordentlich zusammengelegt und gebügelt. Das hatte ich ihm vor vielen Jahren zum Geburtstag geschenkt. Seine Mutter schenkte mir das T-Shirt und ich trage es jetzt oft, mindestens einmal in der Woche, dann ist mein Freund auch immer wieder mit dabei.
In meinem Praxisalltag begegne ich vielen Menschen, für die die Kleider der Verstorbenen eine besondere Bedeutung haben. Bei manchen haben sie einen festen Platz im Kleiderschrank, andere tragen sie auf der Haut und wieder andere bewahren die Kleider in einer luftdichten Tüte auf, um den Geruch der verstorbenen Person noch etwas länger zu haben.
Auch Maria, eine schwedische Filmemacherin, gibt in ihrem Film „Meine zweite Haut“ vielfältige, bewegende Einblicke, was mit den Kleidern von verstorbenen Menschen passiert. Maria hat vor zehn Jahren ihren ältesten Bruder Mattias im Alter von 42 durch Suizid verloren. Sie selbst war damals gerade auf der Filmhochschule und dachte früh daran, vielleicht einen Film dazu zu machen. „Irgendwann habe ich ein Hemd von ihm geerbt oder es mir ausgesucht, ich weiß, es gar nicht mehr genau. Es kam zu mir. Wenn ich mein inneres Bild an Mattias vor meinen Augen habe, dann steht er da mit seinem karierten Hemd.“
So kam Maria die Idee zu ihrem Film und sie begann zu recherchieren, traf trauernde Menschen und machte schnell die Erfahrung, „dass gerade zur Kleidung der Verstorbenen viele ein besonderes Verhältnis haben“. Jemand trägt das Hemd seines Vaters immer zum Schlafen, jemand anders läuft mit den Schuhen eines verstorbenen Menschen durch das Leben und wieder jemand anders trägt die Handschuhe der Mutter. „Gerade das Tragen von Handschuhen, bei dem man die Hände von jemanden spürt, ist auch ganz besonders“, erzählt Maria. „Überhaupt die Kleidung liegt an der Haut, ist so ganz nah beim Menschen, ist wie eine zweite Haut.“
Maria sammelte über mehrere Jahre Material und filmte Menschen. „Es war schön für mich, ein Projekt zu haben. Für mich war die Trauer schon oft schwierig, weil ich hier war und meine ganze Familie in Schweden lebte. Aus meinem Freundeskreis hier kannte niemand Mattias und so war es auch schön, dass ich mich mit ihm beschäftigen konnte und anderen von ihm erzählen konnte.“
Letztes Jahr, war es dann soweit und Maria stellte den Film fertig. Im Zuge dessen erzählte ihre Mutter, dass es noch eine Kiste von Kleidern von Mattias gäbe, die seit seinem Tod niemand aufgemacht hätte. Das wurde dann der Aufhänger zu Marias Film- wie sie fast alle zusammen, Eltern, Geschwister und Kinder von Mattias, diesen Karton aufmachen. „Es war sehr emotional. Aber ein schöner und spielerischer Moment, wie wir die Sachen rausgeholt und angeschaut haben und dann verschiedene Kleidungsstücke anzogen“. In dem Karton war auch eine ungetragene Skijacke. Der Sohn von Mattias war gerade auf dem Weg in die Alpen. „Das war wie ein Gruß von Mattias, dass er seinem Sohn jetzt eine Skijacke für die Reise schenkt“, sagt Maria mit einem Lächeln.
Es war nachts um zwei als Maria den letzten Schnitt für den Film machte und er dann fertig war. Sie war alleine, hat einen Piccolo-Sekt aufgemacht und mit sich selbst angestoßen.
„Ein paar Tage danach war ich traurig, weil das Projekt, das ich so lange hatte, vorbei war. Es war aber auch befreiend. Eine Mischung aus beidem“, erinnert sich Maria.
Beim Abspann des Filmes hört man Akkordeonmusik. Auch Mattias spielte Akkordeon. Für den Film durfte ich die „Filmmusik“ mit meinem Knopfakkordeon beisteuern. Akkordeon lernte ich nach dem Tod meiner Tochter. So war es auch für mich eine ganz besondere Begegnung mit Mattias in seinem karierten Hemd.